von Dirk Jahn
Konstruktive Kritik zu den eigenen Theorien und der eigenen Praxis kommt bei Netzwerktagungen häufig zu kurz, wenn eingeschworene ExpertInnen und PraktikerInnen Ihre Arbeit, aber auch Ihre Interessen und Anliegen für eine weitere Öffentlichkeit darstellen, z. B. im Bereich digitaler Medien. So meine Erfahrung. Nicht so bei dem ersten rundum gelungenen DBR-Netzwerkkolloquium: Iwan Pasuchin von der Universität Mozarteum Salzburg hielt einen sehr spannenden, klaren und vor allem konstruktiv-kritischen Vortrag zu Design-Based Research. Er richtete darin den Fokus auf konzeptionelle Schwach- und Leerstellen, terminologische Ungereimtheiten und erkenntnistheoretische Risiken der designbasierten Forschung und blieb aber dabei nicht bei der reinen Kritik stehen. Ausgangspunkt für seine spannende Analyse war ein eigenes DBR-Unterfangen, das durch methodologische Empfehlungen aus dem DBR-Diskurs ins Straucheln geriet. Bevor ich im Weiteren die großen Verdienste des Vortrages skizzieren möchte, hier erst mal eine kleine und sicher subjektiv eingefärbte Kritik daran: Der Vortrag hat stellenweise auf mich so gewirkt, als wolle Iwan Pasuchin den Amerikanischen Pragmatismus mit seiner Erkenntnistheorie und Methodologie gegen DBR ausspielen. Da erstrahlen einerseits etwa die profunden und konkreten Überlegungen von John Dewey zum wissenschaftlichen Denken und Handeln, indem Pasuchin Deweys Prozess der Inquiry bzw. des kritischen Denkens treffend veranschaulicht und den lebensweltlichen Kern des Erfahrungsbegriffs als Ausgangs- und Endpunkt für eine Wissenschaft herausarbeitet, die hier in den Diensten des Individuums und seinem Wachstum und im Weiteren der Gesellschaft und der Demokratie steht. Dagegen lässt er DBR in seiner methodologischen Verortung und Ausrichtung etwas unausgegoren und anfällig für schlechte Wissenschaftspraxis aussehen, indem er z. B. etliche Begriffe und Zieldefinitionen aus dem DBR-Diskurs, wie „Nützlichkeit“, „Innovation“ oder „Optimierung“ aufgreift, als nicht hinreichend bestimmt enttarnt und im Weiteren durch eine ideologiekritische Brille mit Dewey als Reflexionsrahmen im Gepäck praktische Gefahren in diesen Konzepten und den damit einhergehenden Praktiken ausmacht, z. B. DBR als Legitimationsstrategie zu nutzen, etwa um bestimmte Ergebnisse der DBR-Forschung in die Praxis zu integrieren, und damit Karrieren und Gelder zu sichern oder die Forschungsarbeit in der Dissertation in positives Licht zu rücken. Der Amerikanische Pragmatismus, bzw. die daraus erwachsene Sozialforschung, so Pasuchin, biete dazu aber konzeptionelle Auswege und Potential für die Weiterentwicklung von DBR, die er im Weiteren auch konkret und gewinnbringend aufzeigt.
An dieser Stelle sei aber daran erinnert, dass diese Dualität (Pragmatismus auf der einen, DBR auf der anderen Seite) so nicht existiert. Ganz im Gegenteil: Einer der wichtigen Einflüsse auf Design-Based Research, z. B. auf methodologische Überlegungen, geht schon immer vom Amerikanischen Pragmatismus aus (neben anderen Traditionen wie der Kunst, Design oder der Theorie des Handwerks/der Bricolage). Ich möchte das kurz an dem Fundus der DBR-Literatur an nur einer einzigen, sehr geschätzten Autorin exemplarisch zeigen: Gabi Reinmann hat in mehreren Veröffentlichungen das Konzept der Abduktion für den Design-Prozess fruchtbar gemacht (z. B. 2014) das von einem der Hauptvertreter dieser Denkschule, Charles Sanders Peirce, stammt. Noch stärker lässt sich der Einfluss in einer ihrer früheren Schrift zu DBR zeigen (2005), in der sie die Ausrichtung und das Programm von DBR vorstellt. „Nützlichkeit“, “nachhaltige Innovation“ und “Neuheit“ werden hier etwa als zentrale Kriterien für die Forschungsbemühen in DBR besprochen (S. 63). “Nützlichkeit“ und „nachhaltige Innovation“ stehen dabei ganz im Sinne des Amerikanischen Pragmatismus. Besonders die Kategorie „Nützlichkeit“ hat in dieser Denktradition aber auch zu nicht unbeträchtlichen Fehl- und Kurzschlüssen in der Erkenntnistheorie geführt. Manche bekannten Vertreter der Strömung, wie etwa William James, einer der Urväter der Tradition, sahen in der Nützlichkeit das Vehikel für Erkenntnis schlechthin: Wahr kann nur das sein, was nützt oder andersherum: Wenn es nützlich ist, dann ist es auch wahr. Wenn z. B. eine Intervention bei SchülerInnen sich als nützlich für den Lernerfolg erweist, dann dient das als Gradmesser für die Wahrheit der Theorie dahinter. Wer diese Denkweise bei DBR kritisiert, sollte das auch beim Pragmatismus tun.
Interessanterweise hat genau diese erkenntnistheoretische Einbahnstraße der Pragmatisten, die Pasuchin ausspart, auch für DBR hohe Relevanz, denn auch in der Theorie und Praxis zu DBR besteht die Gefahr, Nützlichkeit, Innovation und Praxisrelevanz überzubetonen und Bemühungen zu Theorie und Epistemologie stiefmütterlich zu behandeln. Dadurch zeigt sich vielleicht auch, wie nahe sich die beiden Denkrichtungen stehen.
Jedenfalls hat uns der aufschlussreiche Beitrag von Iwan Pasuchin gezeigt, welche konzeptionellen und begrifflichen Schwachstellen und Risiken DBR aufweist und er hat Auswege dazu skizziert. Der Vortrag bietet Reflexionsimpulse und Antworten dazu, wie sich DBR wieder und weiter auf Dewey und den Pragmatismus besinnen sollte. Vielen Dank dafür!
Literatur
Reinmann, G. (2014). Design-Based Research: Auftakt für eine methodologische Diskussion
entwicklungsorientierter Bildungsforschung. Schriftfassung des gleichnamigen Online-Vortrags auf e-teaching.org (April 2014).
Reinmann, G. (2005). Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den Design-Based
Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung. Unterrichtswissenschaft, 33 (1), 52-69.
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