Am 22.09.2022 haben wir unser erstes Symposium im Rahmen des Design-Based Research(DBR)-Netzwerks an der Universität Paderborn veranstaltet. Es stand unter dem Motto: „Knowledge by design in education: Getting to the core of DBR epistemology”. Organisiert war es eher klassisch mit vier Vorträgen und relativ viel Raum für Diskussion unter den Beteiligten, und es hatte den Anschein, dass die meisten damit recht zufrieden waren. Das dürfte vorrangig an den inhaltlichen Beiträgen gelegen haben, über die ich kurz berichten will: Wir hatten zwei Vorträge von Personen außerhalb des Netzwerks und zwei von Netzwerkmitgliedern. Ich beginne mit den Beträgen unserer Gäste: Susanne Prediger, Matt Easterday und Daniel Rees Lewis
Susanne Prediger, Mathematikdidaktikerin, hat ihren Vortrag online gehalten; der Titel war: „Theorizing in design research: Examples from the case of language in mathematics”. Theoriebildung ist in DBR ein zentrales Anliegen, gehört also zum „Kern“, wird aber von verschiedenen DBR-Vertreterinnen durchaus unterschiedlich betrachtet. Eine wichtige Unterscheidung in Predigers Vortrag war die zwischen „background theories“, die in den DBR-Prozess einfließen, und „foreground theories“ im Sinne der Theoriebildung oder besser: die Bildung von Theorie-Elementen oder lokalen Theorien. Prediger verwies unter anderem darauf, dass der Begriff „Theorie“ selbst bereits eine Herausforderung ist, denn es existieren dazu verschiedene Vorstellungen. Eine Lesart stellt etwa darauf ab, die Funktion von Theorien hervorzuheben, also z.B.: Phänomene systematisieren, Gegenstände und deren Relationen beschreiben, Regularitäten ableiten, Vorhersagen ermöglichen, Empfehlungen geben, eine Sprache (genauer: eine bedeutungsbezogene Denksprache) anbieten. Für DBR sind solche Betrachtungen bedeutsam, da Theorien auch hier verschiedene Funktionen haben. Theoriebildung in DBR, so Predigers Fazit, ist ein höchst komplexer Prozess, bestehend aus „verknüpfenden und transformierenden Aktivitäten“. Wer sich in das Thema vertiefen will: Folgender Text (hier) enthält einige der interessanten Ausführungen, die auch im Vortrag auf dem Symposium Thema waren.
Dass wir Matt Easterday und Daniel Rees Lewis, beide Forscher an der Northwestern University, gewinnen können, hatten wir gar nicht zu hoffen. Der Titel ihres Vortrags lautete: „The logic of iteration“. Iteration gilt vielen DBR-Vertreterinnen als wichtiges Merkmal von DBR (neben anderen), auch wenn das (etwa in unserem Netzwerk) nicht unwidersprochen bleibt. Ich gehe jetzt dennoch mal davon aus, dass Iterationen bzw. die potenzielle Vielfalt von Iterationen ebenfalls zum Kern von DBR gehören. Doch wie praktiziert man Iteration in DBR konkret und was kann man alles iterativ bearbeiten? Easterday und Rees Lewis haben versucht, unter anderem mit eigenen Projektbeispielen vorläufige Antworten darauf zu geben. Illustriert an einem Beispiel aus dem Gesundheitsbereich wurden unter anderem Prinzipien „hinter“ der Iteration in DBR vorgeschlagen, nämlich (exemplarisch): „von hinten her denken“ in dem Sinne, dass man sich klar macht, was letztlich die Ziele eines DBR-Projekts sind und dabei bedenken, dass die „Kausalketten“ dort (in DBR-Projekten) besonders lang sind; „frühzeitig und häufig Iterationen praktizieren“, um nicht zu spät feststellen zu müssen, dass man sich gegebenenfalls in eine falsche Richtung bewegt; auf „(vertical) slicing“ setzen, was bedeutet, dass man hinreichend kleine exemplarische Design-Elemente in einen Iterationszyklus bringt; „sich auf die größten Risiken“ (Wahrscheinlichkeiten des Scheiterns) konzentrieren, um bessere Entscheidungen im DBR-Prozess treffen zu können. Zu beachten ist bei diesen Empfehlungen, dass Easterday und Rees Lewis hier von Erfahrungen aus relativ großen Projekten mit sowohl ökonomischen als auch politischen Implikationen sprechen. Vergleicht man das etwa mit dem Kontext „Mathematikunterricht in der Schule“ aus dem Vortrag von Susanne Prediger wird deutlich, dass man immer auch im Blick haben muss, wo und wozu genau DBR praktiziert wird. Auch zu Easterdays und Rees Lewis‘ Vortrag hier noch ein Link zu einem Text, der zumindest einige der Ausführungen enthält, die auch im Vortrag vorkamen – für alle, die hierzu mehr wissen wollen.
Neben diesen beiden Keynotes mit Diskussionen (wir hatten für jeden Beitrag 90 Minuten Zeit) haben zwei unserer Netzwerkmitglieder, Angelika Bikner-Ahsbahs und Dieter Euler, je einen Vortrag zum Symposium beigesteuert und das Programm auf diese Weise mit weiteren Kernelementen zu DBR abgerundet:
Angelika Bikner-Ahsbahs hat zum Thema gesprochen “The ethico-onto-epistemology of design research in education”. Eingestiegen ist sie mit einem Zitat von Arthur Bakker, das ich selber auch sehr treffend finde, um DBR in aller Kürze zu charakterisieren – sinngemäß: DBR erforscht, was sein kann oder soll. Bikner-Ahsbahs (Mathematikdidaktikerin wie Susanne Prediger) betonte unter anderem, wie wichtig es in DBR ist, das Wissen der Personen aus der Forschung und aus der Praxis (hier Unterrichtspraxis) zu integrieren und dabei zu berücksichtigen, dass der Beobachter immer auch Teil des (beobachteten) Phänomens ist. Die Ontologie der Erfahrung, so eine weitere Botschaft, sei emergent und sozial eingebettet – ein Merkmal, das DBR deutlich etwa von Experimentalforschung unterscheidet. Zieht man zudem nochmal Bakkers Zitat heran, wird ein weiteres höchst relevantes Merkmal von DBR deutlich, nämlich der normative Aspekt: Wenn man in einem DBR-Projekt erforscht, was sein kann (oder soll), geht das nur sowohl mit Wertentscheidungen als auch mit Verantwortung (für das Design). Bikner-Ahsbahs hat das in ihrem Vortrag mit „ethical commitment“ in Verbindung gebracht: eine ethische Verpflichtung also, was dazu führt, dass natürlich auch ethische Überzeugungen in DBR einfließen. Als Beispiel zur Illustration ihrer Ausführungen hat sie die Umgestaltung einer Summer School in Präsenz in ein Online-Format während des Lockdowns herangezogen. Im Fazit hält Bikner-Ahsbahs unter anderem fest: Ethische, ontologische und epistemologische Dinge müssen in DBR zusammenpassen.
Dieter Euler hat in seinem Vortrag folgende Frage ins Zentrum gestellt: „How to align objectives of practioners and scientists in DBR?“ Dieter Euler (Wirtschaftspädagoge) hat (im weitesten Sinne) die Berufsbildung als weiteren Hintergrundkontext mit ins Spiel gebracht. Auch in diesem Beitrag wurde ein Kernelement von DBR behandelt, nämlich die Kooperation bzw. Kollaboration von Forscherinnen mit Vertretern aus der Praxis. Personen aus Forschung und Praxis treffen sich laut Euler prinzipiell überall im DBR-Prozess, also auch schon zum Einstieg, wenn es darum geht, Ziele eines DBR-Vorhabens auszuhandeln. Auf diese „erste Station“ hat sich der Vortrag konzentriert. Die Erfahrung zeigt, dass der Abgleich der Ziele zwischen Forschung und Praxis sowohl höchst relevant als auch herausfordernd ist. An einem Beispiel zeigte Euler auf, dass und wie Ziele erheblich divergieren können. Wenn dies der Fall ist, müsse man die (möglichen) Differenzen früh diskutieren. In diesem Zusammenhang verwies Euler auch auf die Schwierigkeit des Praxis-Begriffs: Was da nämlich einheitlich klingt, stellt sich üblicherweise eher als multidimensional (mehrere verschiedene Praxisbereiche) heraus. Man kann in DBR aber durchaus produktiv mit diesen Herausforderungen umgehen. Hierzu stellte Euler einige Prinzipien für die Zusammenarbeit vor: Probleminterpretationen klären und teilen, Unterschiede explorieren, das Problem konkretisieren, Unterfragen bewerten und priorisieren, komplementäre Ziele aufeinander abstimmen. Dazu brauche man allerdings Offenheit, eine Sprache, die alle verstehen, und Vertrauen in gute Absichten auf beiden Seiten.
Mein Fazit: Wenn ich auf das Symposium zurückblicke und versuche zu rekonstruieren, was ich gehört habe und was mir aus den Diskussionen nachklingt, so meine ich, dass wir es ganz gut geschafft haben, uns dem Thema zu widmen, das wir uns selbst für diese Veranstaltung auf die Fahne geschrieben hatten. Sind wir dabei auch zum Kern der DBR-Epistemologie vorgedrungen? Leider kann ich das nicht eindeutig beantworten. Ich persönlich hatte vor allem nach weiteren Diskussionen im Arbeitstreffen des DBR-Netzwerks am Tag danach eher den Eindruck gewonnen, dass die Vorstellungen von DBR umso mehr auseinanderlaufen, je länger und intensiver die Beschäftigung mit DBR aus verschiedenen Perspektiven erfolgt. Das scheint mir auf der einen Seite nicht weiter tragisch zu sein: Es könnte auf bereichsspezifische DBR-Auffassungen und -Umsetzungen hinauslaufen, die dann sinnvoll sind, so meine ich, wenn man gute Gründe dafür hat (Besonderheit des Gegenstandsbereichs, spezielle Rollen etc.). Auf der anderen Seite kann es natürlich auch ein Nachteil sein, vor allem dann, wenn man ja eigentlich daran arbeiten will, dass DBR als methodologischer Rahmen mehr wissenschaftliche Anerkennung erfährt und z.B. auch Chancen bei der Forschungsförderung (u.a. bei der DFG) erhält: Hierfür wäre möglichst viel Konsens von vielen verschiedenen Seiten natürlich wirkungsvoller. Aber nun ja: Der sachliche Streit gehört eigentlich zum Wesen der Wissenschaft; genau genommen dürfte das eine das andere also gar nicht ausschließen … Angesichts der Tatsache, dass wir nächstes Jahr noch ein zweites Symposium gestalten dürfen, können wir bis dahin und auf der kommenden Veranstaltung weiter um den rechten Weg ringen.
Dieser Beitrag ist auch in Gabi Reinmanns Blog erschienen.
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